Eine Einführung in das moderne Phänomen Sport als zeitgenössischer Form der Barbarei

Der barbarische Sport

Kopfschuss

Ilustração: Amrei Fiedler

Übersetzung: Camilla Elle

Vor London 2012

Mitunter versprühen die Worte von Sportlern – und auch die der Politiker – einen Hauch rührender Naivität. Zum Beispiel als der ehemalige Olympiasieger Sebastian Coe versicherte, die Olympischen Spiele in London würden „eine Feier“ und nicht ein „von Sicherheitsbelangen gekennzeichnetes Ereignis“ werden. „Ich will nicht“, sagte der ehemalige Weltklasseläufer, „dass die Leute, die nach London kommen, sich in einer belagerten Stadt wiederfinden. Wir brauchen ein gutes Gleichgewicht. Wir werden tun, was es braucht, um die Sicherheit zu gewährleisten, aber gleichzeitig sind die Spiele in erster Linie ein Sportereignis.“ Klar aber ist, dass der Zustand der Belagerung, der entstand, uns dazu bringen könnte, dies zu bezweifeln. Laufen die Olympischen Spiele in London etwa nicht Gefahr, einer Kriegsvorbereitung zu Friedenszeiten zu ähneln? Gleicht der „Olympische Frieden“ nicht vielmehr einer Form von latentem Krieg? Unterdessen bekräftigte Premierminister David Cameron diese Interpretation, indem er sagte: „Die Mobilisierung des Landes ist beispiellos für Friedenszeiten.“ „Es wird mehr Polizei auf den Straßen geben, mehr Boote auf der Themse, mehr Hubschrauber am Himmel, und Militär, um die Spielstätten zu schützen; unsere Informationsdienste arbeiten 24 Stunden am Tag […]. Diese Sicherheitsoperation wird die größte und umfangreichste, die in Großbritannien zu Friedenszeiten je durchgeführt wurde, aber sie wird auf eine Weise vorgenommen werden, die den Geist der Spiele respektiert.“ Geist, bist du vorhanden? Und so zögerte der Premierminister auch nicht, hinzuzufügen: „Ich bin davon überzeugt, dass es sich in erster Linie um eine Sportveranstaltung zusammen mit einer sehr wichtigen Sicherheitsoperation handelt und nicht um eine Sicherheitsoperation begleitet von einem Sportereignis.“ Um die, die immer noch beruhigt werden mussten, zu besänftigen, erklärte der Staatssekretär für Sport, Hugh Robertson, dass „wir uns nicht als eine Supermacht präsentieren.“ Doch der Flugzeugträger HMS Oceana kam die Themse hinauf bis nach London, um an militärischen Manövern teilzunehmen, und man mobilisierte Flugzeuge des Typs Typhoon und stationierte sie in der Nähe der Stadt. Radargeräte waren bereit, und trotz zahlreicher Proteste der Bürger wurden Rapier Boden-Luft-Raketen in der Nähe des Olympiastadions bereitgestellt. Mit Hilfe von mehr als vier Millionen Kameras, die in den Städten installiert wurden, hat sich die Videoüberwachung über das gesamte britische Gebiet ausweitet … und das galt sogar für das Stratfordstadion, das mit recycelten Waffen und Messern gebaut wurde.

Wie also könnte man nach all diesen Erklärungen und der gigantischen und beispiellosen Militär-und Polizeiorganisation (13.500 Militär-, 23.700 Sicherheitsleute) nicht bemerken, dass Sport und Krieg sehr eng miteinander verflochten waren? Wie könnte man verkennen, dass von nun an die Organisation eines sportlichen Wettkampfes auf höchstem Niveau mit dem Einsatz einer militärischen Operation zusammenfallen würde? (Um nicht von der argentinischen Regierung zu sprechen, die ein paar Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele wie zufällig den alten bewaffneten Konflikt um die Falklandinseln – mit damals fast tausend Toten – wieder heraufbeschwor.)

Trotz des Wunsches, kostengünstige Olympische Spiele stattfinden zu lassen, wissen wir, dass sich das Budget der Spiele in London bis auf 13 Milliarden Euro ausweitete, und dass die Sicherheitsausgaben, die erst Anfang 2012 verdoppelt worden waren, insgesamt ganze 670 Millionen Euro erreichten. Mitten in der Rezession und im Kontext einer sich verschärfenden Krise in Europa konnte Großbritannien schon nicht mehr vorgeben, positive wirtschaftliche Auswirkungen der eigenen Olympischen Spiele zu erwarten. Darüber hinaus wurde ein Anstieg des langfristigen Realwachstums durch die Olympischen Spiele bei Moody’s um 1 % geschätzt, und das, obwohl man sich hier und beim Forschungsinstitut „Capital Economics“ wohlwollend zeigen wollte. Die katastrophale Erfahrung der Olympischen Spiele in Athen im Jahr 2004, deren Budget den Staatshaushalt mit rund 5 % des BIP belastete, war allen in Erinnerung. Ebenso wie praktisch jegliche Sportanlagen, die brachliegen blieben, sowie die Verschärfung der Staatsverschuldung in der Folge der Spiele, was Griechenland an den Rand des finanziellen Ruins brachte. Die meisten der Ausgaben der früheren Olympischen Spiele gleichen einem Fass ohne Boden.

Folglich war der Druck auf die britische Führung riesig. Gewerkschaften und all jene, die versucht waren, in den Streik zu treten, wurden eilig gewarnt. Die Labour-Führung und die Konservativen machten gemeinsame Sache, was die erwünschte Einstellung betraf; sie stimmten absolut überein. Der Labour-Chef Ed Miliband beurteilte „jede Bedrohung der Spiele als völlig inakzeptabel“ und sein konservatives Alter Ego, der Sprecher des Premierministers, schätze die Streikdrohung der Taxi- und U-Bahn-Fahrer als „völlig inakzeptabel und unpatriotisch“ ein. Zum Glück für VIPs und Sportler hatte man 48 Kilometer Privatstraßen für den Verkehr eingeplant, während die Londoner aufgefordert wurden, Telearbeit zu praktizieren und die Stoßzeiten zu vermeiden.

Nach London 2012 … London 1984

Es ist wohl überflüssig, weiter das Doping hervorzuheben, das die Wettkämpfe mit Produkten überschwemmt hat, die gerade dazu bestimmt sind, das Doping zu verschleiern. Man wird wohl zudem behaupten können dass, wie von nun an in allen Olympischen Spielen, und damit auch in London, einige Athleten des Dopings überführt worden sind, während fast alle anderen durch die erweiterten Löcher des Netzes geschlüpft sind. Eines Netzes, dass von einem IOC verbreitet wurde, das in Begriff ist, Formen des „kontrollierten“ Dopings zu akzeptieren, um die Kontinuität des Sportentertainments zu gewährleisten, das von nun ab und in Zukunft das alleinige Hauptinteresse darstellt. Die offizielle Liste der bekanntesten Dopingfälle ist inzwischen fast so lang wie die Liste der Sportler selbst. Darunter Dwain Chambers, Michelle Collins, Kelli White, Tim Montgomery und natürlich Marion Jones, das „Goldmädchen” des US-amerikanischen Sports, die ihre gesamten olympischen Medaillen zurückgegeben hat, sowie jüngst Yohan Blake und Justin Gatlin, um nur einige zu nennen. Das hat nicht verhindert, dass sich ein Publikum von mehreren hundert Millionen Menschen auf fünf Kontinenten begeistern lässt. Begierig nach starken Emotionen, wenn nicht sogar nach psychischen Erschütterungen, lässt es sich beeindrucken von den „entsetzlichen“, „beispiellosen“, „unglaublichen“ und „wunderbaren“ Heldentaten der gedopten Götter des Stadiums.1 Gleichwohl hätten die Londoner Sprintsiege der Jamaikaner (Männer wie Frauen), die auf keine echten Gegner stießen, beginnen müssen, die feuchten Augen der meisten aficionados* zu öffnen, was die erstaunlichen Kunststücke oder die außergewöhnlichen Siege dieser Athleten betrifft. Wann wird es die nächsten Siege eines noch konkurrenzfähigeren Klons von Usain Bolt geben, dann aber die hundert Meter im Rückwärtsgang?

Dank der Olympischen Spiele in London hat sich unter uns ganz unmerklich und ohne übermäßige körperliche und zu sichtbare Gewalt eine Barbarei light etabliert. Wir wurden Zeugen der konkreten Umsetzung dessen, was der Gründervater der Spiele immer gewollt hatte. Nämlich, mit den Worten von Baron Pierre de Coubertin, der weltweiten „olimpización“ (1932). Das heißt, der Verwirklichung jener Vision einer in der „Philosophie des Lebens“ getränkten Welt, die den Sport mit der Kultur und der Bildung verbindet. Einer Welt, deren „Lifestyle“ von der Olympischen Charta bekannt gegeben wird, von der Bibel des ewigen Olympischen, deren Verkündung bereits ein Jahrhundert zurückliegt. Die „Olympisierung“ der Welt bedeutet heute ihre Versportlichung, eine tief verwurzelte Tendenz, sich der Zeit und des Raumes zu bemächtigen. Das heisst, in Bezug auf die Olympischen Spiele in London, eine Bemächtigung der ganzen Stadt London und des ganzen Planeten für zwei Wochen in einem weiteren Sinne. Nämlich im Sinne einer Vereinnahmung der Welt in Form von permanenter Zerstreuung, einer massiven Informationsbombardierung und einem kontinuierlichen Strom von Sportleistungen sowie deren augenblicklicher Verkehrung in die Form von für unser Leben dringlicheren oder notwendigeren Nachrichten, als es beispielsweise der Krieg in Syrien wäre

Was hat eigentlich in Wirklichkeit während der Londoner Sportschau, der lächerlichen Rituale der Medaillenübergaben, der Freude der Sieger und der Trauer der Besiegten stattgefunden? Man muss anerkennen, dass die Olympischen Spiele in London im Sinne jener Olympisierung von Raum und Zeit „fortgeschritten“ sind. Auf die gleiche Weise, wie das Stadion und seine Umgebung, London und in einem allgemeineren Sinn eben die genannten Räume nicht einfach durch die üblichen Sponsoren (Coca-Cola, McDonald’s, Visa, Adidas …) privatisiert wurden, sondern durch und durch olympisiert wurden. Und wirklich, für die Dauer der Spiele zwang das IOC die britische Regierung, Vollmachten in Form eines Vertrages zwischen dem IOC und der Stadt London zu erteilen. The London Olympic Games and Paralympic Games Act 2006 sah unter anderem vor, dass eine spezielle Einheit von dreihundert Agenten zu bilden sei – die berühmte Olympic Delivery Authority (ODA). Es handelte sich um eine Art Privatmiliz, die – zweifellos um sich besser zu unterscheiden – Mantel und Mütze in Violett trug, und die jederzeit in den Geschäften und Unternehmen Überraschungskontrollen bezüglich der Verwendung der Sprache (ja, ja der Worte!), der Logos und aller mit den Olympischen Spielen assoziierten Symbole durchführen konnte. Darüber hinaus beklagten die Händler die Arbeitseinschränkungen durch das IOC. Zu dieser echten „Olympia-Polizei“ muss man die Kontrolle der Kommunikationsmedien hinzudenken, ganz zu schweigen von der Kontrolle der Tweets und der Facebookseiten innerhalb des Olympischen Dorfes. Last but not least wurde ebenfalls eine Polizei für Sprache und Kleidung eingerichtet. Um es zugespitzt zu formulieren, war es in den Stadien sozusagen verboten, sich mit anderen Schuhen als denen von Adidas fortzubewegen und andere „Lebensmittel“ zu konsumieren als die von McDonald’s, seinen Durst mit anderen Getränken zu stillen als mit Coca-Cola oder Heineken und sich mit seinen Freunden zu verständigen, ohne Samsung zu verwenden. Die genannten umfassenden Befugnisse, die sich das IOC in der Praxis angemaßt hatte, erweiterten sich um den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums in Bezug auf die Olympischen Spiele. Selbst der Begriff „Olympische Spiele“ konnte nicht ohne vorherige Zustimmung des IOC oder ohne den entsprechenden Kanon zu bedienen, verwendet werden. Angesichts der Geldstrafen sahen sich bestimmte Medien daher gezwungen, von den „Sommerspielen“ oder den „O-Spielen” zu sprechen. Alle vier Jahre garantiert das IOC eine wahre Übernahme des öffentlichen Raumes der Gastgeberstadt und des Staates, der dies während der Spiele unterstützt, bis hin zu dem Punkt, dass die Befugnisse von Stadt und Staat begrenzt werden. Die olympische Ordnung regiert dank einer spezifischen Gesetzgebung, der ASBO (Anti-Social Behaviour Order), die seit 2003 erlaubt, Gefängnisstrafen gegen alle Individuen, die gegen die Olympischen Spiele protestieren, zu verhängen, wie ein Staat im Staate. Wo also bleibt folglich die Souveränität der Gaststadt und des Landes, das die „Feier“ austrägt? Was halten die Londoner Bürger, die den finanziellen Abgrund von mehreren Millionen Pfund vorfinden (das ursprüngliche Budget wurde vervierfacht), von dieser Bevormundung? Der Bürgermeister von London, eigentlich aficionado der Olympischen Spiele, fühlte sich sogar gezwungen, auf der Titelseite der Financial Times gegen den „Wahnsinn“ der olympischen Hinterlassenschaften zu polemisieren.

Darüber hinaus ist bekannt, dass das IOC einen Beobachtersitz in der UNO hat.

Big IOC is watching you ...

Brasilien 2013 –2016

Mit der bemerkenswerten Ausnahme von Sepp Blatter waren die meisten Beobachter in der Lage, die Entstehung der großen Demonstrationen, die in Brasilien im Juni 2013 begannen, angemessen zu analysieren und zu verstehen.2 Die Erhöhung der Nahverkehrspreise löste eine Welle nationalen Protests in den meisten großen Städten aus, in denen die Spiele der kommenden Fußballweltmeisterschaft 2014 ausgetragen werden sollten. Dem folgte eine Lawine von Protesten gegen Privatisierung und Repression. Darüber hinaus gab es Forderungen, das Gesundheits- und Bildungssystem sowie andere öffentliche Dienste, die von der Regierung von Dilma Rousseff und ihren Freunden von der Arbeiterpartei (PT) bedroht wurden, zu verteidigen. Das „Meer der Rosen“, auf dem der ehemalige Präsident Lula zu navigieren glaubte, wurde schnell zu einer riesigen Menge von Dornen.

Doch in diesen Analysen fehlen wichtige Elemente, die uns nicht nur für eine Einschätzung der speziellen Triebkräfte der laufenden Demonstrationen entscheidend erscheinen, sondern auch die innere Qualität der Forderungen verstehen lassen: die politische Rolle des Fußballs als Phänomen einer Bewusstseinsaußerkraftsetzung, die unselige Macht der Stadien als Räume für Kanalisierung und Gewahrsam allen sozialen Protests, die sportliche Urbanisierung der Städte als neue Umgebung und schließlich die diktatorische Strategie der FIFA.

Nach einem parlamentarischen Kampf akzeptierte die brasilianische Regierung im Jahr 2012 schließlich das „Lei Geral da Copa“, das von der FIFA ins Leben gerufen worden war. Dieses „Allgemeine Gesetz der Meisterschaft“ zwang den Gastgeberstädten an den Spieltagen der brasilianischen Mannschaft Feiertage auf, reduzierte die Anzahl der Sitze, erhöhte die Preise für das Publikum und erlaubte zudem alkoholische Getränke in den Stadien. Die Aufhebung des Verkaufsverbots derselben in den brasilianischen Stadien entstand, um der FIFA den gewichtigen Vertrag mit dem Multi Anheuser-Busch, Hersteller von Budweiser-Bier, einem der Hauptsponsoren der Meisterschaft, zu erhalten. Das „Allgemeine Gesetz der Meisterschaft“ befreite Unternehmen, die für die WM arbeiten, von Steuern (darunter diejenigen, die die Stadien renoviert oder gebaut haben). Es verbot (Artikel 11) den Verkauf von Waren in den Austragungsstätten sowie in ihrer unmittelbaren Umgebung und den wichtigsten Zufahrtsstraßen und kriminalisierte (Artikel 23) Bars, die versuchten, Spiele ohne entsprechende Lizenzen zu übertragen oder bestimmte mit der FIFA assoziierte Marken zu bewerben. Schließlich klassifizierte das Gesetz jeden Versuch eines Angriffes auf das Image der FIFA oder das seiner Sponsoren als Gesetzesverstoß auf Landesebene, so wie Werbung als „Intrige“ oder „Betrug“ eingeordnet wurde, wenn sie unbefugt jegliche mit dem Fußball allgemein oder der Meisterschaft assoziierbare Bilder verwendet. Um die schnelle Anwendung der Sanktionen – die von einfachen Geldstrafen bis zu zweijährigen Haftstrafen reichen – zu ermöglichen, will die FIFA während der Weltmeisterschaft Sondergerichte einsetzen. Solche Maßnahmen widersprechen allerdings der brasilianischen Verfassung von 1988, die wie in den meisten entwickelten und demokratischen Ländern festlegt, dass es weder eine Sondergerichtsbarkeit noch eine Ausnahmegerechtigkeit geben kann und dass die Justiz für alle gleich zu sein hat. Allerdings hat die Unvereinbarkeit dieser Vorschläge mit der Verfassung die FIFA nicht davon abgehalten, das zu wiederholen, was sich während der WM 2010 in Südafrika durchgesetzt hatte, nämlich die Einrichtung von Dutzenden „Meisterschaftsgerichten“. Die FIFA beansprucht umgekehrt den Genuss völliger Straffreiheit für jegliche Schäden an Personen, Unternehmen und Institutionen, die während der Meisterschaft angerichtet werden. So trägt der jeweilige brasilianische Bundesstaat die alleinige Verantwortung für „jede Art von Folgeschäden, die aus jeglicher Art von Zwischenfall oder Unfall im Zusammenhang mit den Ereignissen entstehen“. Er kann auch gezwungen werden, im Falle von Angriffen, Unfällen, organisierter Kriminalität, Naturkatastrophen etc. Entschädigung an die FIFA und ihre Partner zu zahlen. Dank des „Allgemeinen Gesetzes der Meisterschaft“ kann die FIFA, wie das IOC anderswo, in dem Land, das die Sportveranstaltung beherbergt, ihre Gesetze durchsetzen. Um jeden Protest abzuwenden, hat die FIFA nicht aufgehört daran zu erinnern, dass nicht sie zu beschuldigen sei, sondern dass es Brasilien war, das seine Kandidatur für die Austragung der WM eingereicht hatte. Die Gesetze der Sportverbände dominieren in dieser Weise die Rechte der Nationen, ohne dass dies Empörung bei den verantwortlichen Politikern hervorrufen würde.

Trotz der Verbote und des immensen Einflusses der FIFA – und wegen der massiven Mobilisierung der Brasilianer – konnte nicht verhindert werden, dass meisterschaftsfeindliche Demonstranten im Fernsehen gezeigt wurden. „Kommt nicht, um die Meisterschaft zu sehen“, war einer der meist skandierten Parolen der Demonstranten. Diese stellten die Weltmeisterschaft infrage, weil sie wussten, dass durch sie eine immense Spekulation hervorgebracht würde. Dass ganze Wohnviertel – und nicht nur Favelas – dem Erdboden gleichgemacht würden, um den Bau von Autobahnen zu ermöglichen, die die Flughäfen mit den neuen Stadien verbanden. Die aktuellen Demonstrationen zeigen eine kritischere Haltung zum futebol*, diesem Opium fürs Volk, das gerade dem brasilianischen Volk viel weniger zu gefallen scheint. In der Folge wurde König Pelé selbst zu einem der beliebtesten Angriffsziele der Demonstranten, nachdem er erklärt hatte: „Vergessen wir all diese Verwirrung, die in Brasilien vonstattengeht, und denken wir daran, dass das brasilianische Team unser Land, unser Blut ist.“ Auch mochten die Brasilianer die Frechheit von Jérôme Valcke, Generalsekretär der FIFA, nicht, der sagte, dass Brasilien sich „einen Tritt in den Hintern geben“ müsse. Sogar in den Ohren der brasilianischen Organisatoren klang das wie eine Beleidigung. Die Wahrheit ist, dass dies nicht der letzte Ausbruch dieses arroganten Bürokraten war, denn schon kurze Zeit darauf machte er einige ebenso merkwürdige wie gänzlich symptomatische Aussagen: „Ich werde etwas Verrücktes sagen. Manchmal ist ein niedrigeres Niveau an Demokratie für die Organisation einer WM vorteilhaft. Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entschlusskraft gibt, wie das mit Putin im Jahr 2018 eintreten wird, wird es für uns, die Organisatoren, leichter sein, auf den verschiedenen Ebenen zu verhandeln, als mit einem Land wie Deutschland.“

Sepp Blatter, Präsident der FIFA (und IOC-Mitglied), begnügte sich für seinen Teil nicht damit, an der Seitenlinie zu bleiben. Er unterstützte die Aussagen seines Generalsekretärs, indem er, sich zu dem Erfolg seiner Organisation beglückwünschend, argumentierte, dass die WM 1978 in Argentinien „ein Weg der Versöhnung des argentinischen Volks mit dem politischen System, das zu dieser Zeit ein Militärsystem, war“, gewesen sei. Es scheint angemessen, daran zu erinnern, dass die WM 1978 trotz zahlreicher Boykottaufrufe (z.B. Frankreichs) stattfand, während Argentinien unter dem Joch der mörderischen Diktatur General Videlas (1976 –1981) litt. Das Monumental-Stadion ins Delirium getaucht, jubelte das argentinische Volk, die Stimmen der Gefolterten übertönend, in Buenos Aires seinen Idolen, den Spielern der argentinischen Mannschaft zu. Ohne dabei zu verstehen, dass sich auf diese Weise, mit jedem Schrei, die Schreckensherrschaft der Diktatur, die bis 1983 andauerte, stabilisierte.

Gegenwärtig setzt Sepp Blatter sein großes Unternehmen zur Mystifikation fort und bekräftigt, dass der „Fußball stärker ist als die Unzufriedenheit der Menschen.“ Aber der ehemalige brasilianische Stürmerstar Rosario trifft es gut, wenn er sagt, dass „der wahre Präsident von Brasilien heute die FIFA ist.“

(Januar 2014)
Dieser Artikel erschien als Vorwort der spanischen Ausgabe: La barbarie deportiva - Crítica de una plaga mundial. Quellenangaben sowie die Vertiefung der Argumentation sind im Buch (FR, EN, ES) nachzulesen.


Der Beitrag wurde zunächst aus dem Französischen ins Spanische übertragen.
Aus dem Spanischen: Camilla Elle

1 Der Skandal um Lance Armstrong, dem Radfahrer, der sieben Mal die Tour de France gewonnen hat, war das Paradebeispiel für einen Sportler, der ein System perfekt gesteuerten Dopings praktiziert, während er allen amtlichen Kontrollen entkommt. Der Athlet, ohne Zweifel der beobachtetste der Welt, konnte sich in aller Ruhe dopen.
2Anfang Januar 2014 erklärte der durch die Häufung der Verspätungen der Vorbereitungen beunruhigte Sepp Blatter Folgendes: „Ich bin ein Optimist, kein Feigling. Der Fußball wird geschützt sein. Ich glaube nicht, dass die Brasilianer direkt den Fußball angreifen, denn für sie ist er eine Religion. Aber wir wissen, dass es weitere Demonstrationen und Proteste geben wird. Die letzten, die in diesem Land während des Confederations Cup stattfanden, gingen von den sozialen Netzwerken aus. Sie hatten weder Grund noch wirkliche Forderungen, aber vielleicht werden sie während der Weltmeisterschaft konkreter und strukturierter sein.“